Tag 2 - Seetag

"Und was bedeutet das jetzt für uns?"

 

Heute haben wir Seetag. Das heißt ausruhen und entspannen. Daher haben wir für uns beide um 9.30 Uhr eine schöne ayurvedische Massage gebucht. Zur Sicherheit haben wir den Wecker gestellt, damit wir vorher in Ruhe frühstücken können. Noch vor der Zeit sind wir munter, schalten den Fernseher ein und ich wundere mich, warum die laufende Sendung bei der ARD irgendwas von „nach neun“ im Namen hat. Wie sich schlagartig herausstellt, ist es bereits 9.15 Uhr und zwar deshalb, weil Huwaei im Jahr des Herrn 2019 nicht in der Lage ist, eine Uhr ohne Bindung ans Mobilfunknetz exakt laufen zu lassen, das Handy ist zeittechnisch vollkommen verpeilt und hat zwei Stunden Verzug. Ohne zu frühstücken (wer mich kennt, weiß, was das bedeutet!!!) durchqueren im Sauseschritt die Dusche und hasten ins Spa, wo wir gerade so rechtzeitig ankommen. Die Massage an sich ist wie immer sehr wohltuend, auch wenn mein Ranzen vernehmlich knurrt. Als wir fertig sind, bekommen wir gerade so noch was vom Frühstück, im Anckelmanns kommt schon das Mittagessen auf die Back.

Das Wetter ist recht schön, kaum Wind und so um die 19° C. Daher suchen wir uns auf Deck 14 ein ruhiges Plätzchen und packen uns auf eine Liege. Nach einer intensiven Ruhepause nehmen wir noch einen kleinen Happen im Anckelmanns, dann beginnt auch schon der Vortrag unseres Lektors Heribert Schaller über die kommenden Ziele Ålesund und Geiranger. Ein recht unterhaltsamer Vortrag, informativ gemacht vom Fregattenkapitän a.D. Lektor bei TUI Cruises, das könnte man sich als Nebenbeschäftigung als Rentner vorstellen.

Völlig ausgehungert schleppen wir uns nach dem Vortrag wieder zurück ans Buffet, Kaffee und Kuchen geht ja immer. Wir sitzen schön im Außenbereich des Anckelmanns und genießen das angenehme Wetter und unseren Urlaub. Hier ist es auch angenehm ruhig, man merkt schon, dass das Schiff ausgebucht ist und in vielen Bundesländern noch Ferien sind. Dann ist es gerade an Seetagen schon grenzwertig voll zu den Stoßzeiten. Platz findet man trotzdem immer.

Gegen Mittag lässt der Kapitän laut geben, es haben zwei geheiratet an Bord. Das wäre nun definitiv nicht unser Ding gewesen...

Wer uns kennt, weiß, dass wir gern lästern. Also: eine Familie ist an Bord, die Eltern mit der Tochter im vorheiratsfähigem Alter. Ein Schauspiel. Die drei würden von der Kleiderordnung her ohne zu zögern auf die QE II passen, ihn sieht man zu keiner Zeit ohne einen seiner vielen Seidenschals. Dabei zieht er ein Gesicht, als hätte er einen entzündeten Weisheitszahn. Gestern Abend an die TUI Bar wurde das Töchterlein im silbern glänzenden Oberteil vorgezeigt, rausgeputzt wie eine Nordmanntanne am Heiligabend. Man könnte fast vermuten, die sind auf der Suche nach dem passenden Schwiegersohn. Merkwürdigerweise trifft man diese Leute mehrmals täglich, aber die beiden netten von der Aussichtsplattform in Bremerhaven haben wir noch nicht wieder  gesehen.

Ein paar Worte zum Schiff. In unserem Bad funktioniert das Notlicht nicht. Das ist nicht weiter schlimm, aber sehr angenehm wenn es geht, weil man dann nachts nicht den großen Kandelaber zünden braucht, sofern man mal zum Triton muss. Die Rezeption am Telefon weiß nicht, was wir meinen, unsere Kabinenstewards nehmen es auf und es wird auch am gleichen Tag repariert. Auf der Toilette vor dem Theater ist sowohl der Seifenspender als auch die Rolle mit den Papiertüchern über den halben Tag leer. Das geht gar nicht, wenn 2500 Leute auf engstem Raum zusammen sitzen. Wir reklamieren, aber dass müssen sie von alleine merken, es kommt ja alle Nase lang einer zum durchfeudeln und Origami aus den Klorollen falten. Beim Friseur kommt es fast zu einem Handgemenge: ein Mann eskaliert leicht bis mittelmäßig, weil er gestern ein Problem adressiert hatte und die Zusage bekam, es würde sich jemand drum kümmern und heute gibt man ihm Bescheid, man hätte es vergessen.

Im Anckelmanns kommt es immer wieder vor, dass entweder Tassen oder Teller nicht verfügbar sind. Klar, das sind Kleinigkeiten, da holt man sich seinen Pott eben an der anderen Kaffeemaschine, aber das kennen wir weder von der MS 4 noch von der MS 1. Es ist alles nichts, was einem den Tag vermiesen kann, aber hier und da scheint ein kleiner Schlendrian an Bord zu herrschen.

Was uns auch auf dieser Reise auffällt: viele Gäste - nicht alle - glauben offenbar, mit der Zahlung des Reisepreises ihre gute Erziehung  ablegen zu dürfen. Kaum einer ist in der Lage, sein Begehr im ganzen Satz, verbunden mit „bitte“ zu artikulieren. Satt einer Formulierung wie z.B."Ich hätte bitte einen xxx“ oder „Geben Sie mir bitte ein Pils“ werden nur die nötigsten Silben hervorgepresst: "Mai Thai“, „Bier“, „Weißwein“, ein einfaches „Danke“, nachdem man bedient wurde, hört man auch so gut wie nie. Man wünschte den Leuten, dass sie mal zwei Tage auf der anderen Seite des Tresens stehen müssten.

Den weiteren Nachmittag verbringen wir auf unserem Balkon hauptsächlich mit faulenzen. Muss ja auch mal sein!

Zu Abend lassen wir uns wie gestern schon im Gosch a la carte verwöhnen. Ist eben nicht so laut und unruhig wie im Anckelmanns und andererseits nicht ganz so formell wie im Atlantik, das Essen gibt keinen Grund zur Beanstandung, genau unser Ding. Vor allem erliegt man nicht der Versuchung, seinen Teller wie am Buffet so sehr reichlich zu bestücken.

Nach dem Essen tummeln wir uns noch etwas auf Deck 14, es ist fast menschenleer, weil die meisten beim Essen sind. Das Licht ist irgendwie besonders, so, wie es an Land nie sein kann. Steuerbord ziehen die bereits die Berge von Norwegen durch. Mit unserer Höhe gelingt es uns, norwegisches LTE zu empfangen und der Upload von den Bildern des Tages geht affenartig schnell. Das sollte sich der Systemadministrator des Schiffes mal reinziehen...

Schließlich ziehen wir uns an unseren bevorzugten Ort zu vorgerückter Stunde zurück, die TUI Bar. Es ist schon sehr voll, an der Bar sitzt ein älteres Paar, rechts und links je ein freier Hocker. Wir weisen freundlich auf diesen Umstand hin, und bekommen von dem alten Zausel die Frage an den Kopf geknallt: „Und was bedeutet das jetzt für uns?“. Ich kann gerade noch so meine spontane Antwort: „Dass Du bald sterben wirst“ unterdrücken, glücklicherweise ist meine liebe Frau so sehr viel diplomatischer. Wortlos und zutiefst beleidigt, geradezu angewiedert rücken sie ihre Kadaver so, dass wir beide auch zusammen Platz finden (sorry für die harte Formulierung, aber sowas ist mir noch nicht untergekommen). Die haben bestimmt keinen Spaß an der ganzen Kreuzfahrt, so verbiestert, wie die sind.

Wir süffeln gemütlich einen, genießen den Trubel um uns herum und gehen heute nicht so spät zu Bett, morgen haben wir ja Programm in Ålesund. Mal sehen, ob‘s mit dem Wecker klappt.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    MaMo Sentkowski (Samstag, 10 August 2019 08:58)

    Dein Tagesbericht ist wieder sehr amüsant geschrieben. Mir geht es an Bord auch oft so, dass ich mich als Deutscher für meine Landsleute schäme. Leider ist das gute Benehmen, nicht nur auf Schiffen, bei sehr vielen schon lange verloren gegangen. Wir beobachten auch sehr gerne und ich wundere mich überhaupt nicht das Comedians so viel Stoff im normalen Alltag finden.

  • #2

    AT&E (Samstag, 10 August 2019 20:24)

    Na die 2 verfolgen euch ja auch Schritt und Tritt... Hab mich gerade köstlich amüsiert und den dezenten Formulierungen meine Aufmerksamkeit geschenkt. 2 Leute am 6-er Tisch, Neugersdorf-Kaufland, fallen mir hier spontan ein. no comment

  • #3

    Susie (Samstag, 10 August 2019 23:59)

    Hatte direkt "Nordlicht" anstatt "Notlicht" gelesen. Sehr lustig. In unserer Kabine ist das Nordlicht kaputt.
    Die unhöflichen Flegel sind wahrscheinlich die Hauptsaison-Touristen, in deren Genuss Ihr sonst nicht so kommt, kann ich Buli nicht verstehen.