Tag 1 - Seetag

Wir schlafen dank offenen Fensters und Meeresrauschen bestens. Nicht so gut hat der Bordcomputer unserer Kabine geschlafen, denn die verweigert beharrlich das Licht. Im Zimmer tagsüber nicht so wichtig, im Bad schon. Kurzfristig wird der Mangel durch die Lampe im Handy behoben, wenig später erscheint ein Techniker und bewegt das Beleuchtungs-Terminal wieder zur Mitarbeit. Die Älteren werden sich noch an solche Aus- und Einschalter mit exakt zwei Zuständen erinnern. Hier wird das Light-Entertainment-System mittels eines 10 Zoll Tablets gesteuert, es gibt ungefähr 15 Lichtquellen und von jeder einzelnen kann man Farbtemperatur und Helligkeit separat steuern. Nix für Anfänger also. Nebenbei noch mehrere Bewegungsmelder, die hin und wieder etwas unerwartet das System in Gang setzen. Aber nun ist alles wieder gut, aber wo der Knecht schon mal hier ist, soll er sich gleich mal um die Klimaanlage kümmern, die nur im Eco-Eco-Super-Eco Modus ihren Dienst eigentlich eher nicht verrichtet. Er murmelt was von „Can‘t hear the air condition“ (ja, wir auch nicht) und verschwindet in unserem Schaltschrank, der vom Gang aus zugänglich ist. Nach kurzer Zeit nimmt die Klimaanlage ihre Arbeit wieder in gewünschtem Umfang auf, er grummelt was von „hang up and reboot“ und verschwindet wieder. Früher wären zwei Kältemechaniker gekommen, Plane übers Bett, Leiter und hätten das Splitgerät getauscht, in den neuen schönen Zeit geht alles nur noch mit 0 und 1 und repariert wird der Krempel vom Systemadministrator. Egal, es kühlt wieder bestens und wir können beruhigt zum Frühstück schreiten, dem wir uns mit großer Hingabe widmen. Mein Favorit sind Happen vom Sherry-Hering, der Rest kann sich auch sehen lassen, das sollten die Klappstühle vom Premier Inn sich mal anschauen.

Heute ist nun Seetag und wir beginnen unser Programm. Erst geht Dorit zur Massage, im Anschluss ich. Wie schon bei der letzten Reise ist das Thema Bademäntel hier echt lustig. Grundsätzlich hängen zwei viel zu kleine in der Kabine. Aber selbst das Exemplar in XXL, den mir unsere Zimmerdame wunschgemäß bringt, ist kaum ansatzweise in der Lage, meinen zarten Körper in Gänze zu umhüllen. Als Refernz für die Konfektionsgrößen haben sie irgendwie kleinwüchsige Asiaten genommen. So heißt es flach atmen und den Gürtel etwas fester knoten und dann ab zum Spa. So gesehen ist es besser, die Spa-Termine an den Anfang der Reise zu legen, sonst bräuchte ich am Ende der Reise eher so was wie eine Zeltbahn. Die Massage selbst ist wunderbar entspannend und verdient das Prädikat ausgezeichnet.

Nachdem wir unser Wellfleisch haben ausgiebig kneten lassen, steht eine Besichtigung der Brücke auf dem Programm. Und hier kommt wieder einer der Vorzüge eines kleinen Schiffes zum tragen: die Tür ist einfach offen und man spaziert zwanglos hinein. Auf einem großen Dampfer von TUI mit 2400 Gästen vollkommen undenkbar. Dort kann man sich kaum der Tür unbemerkt nähern, geschweige denn die Brücke besichtigen, die ist dort gesichert wie Fort Nox. Hier auf dem Schiff scheint darüber hinaus das Interesse beim Publikum an so etwas nicht so stark zu sein, man versucht eher beim Smalltalk den anderen darin zu überbieten, wie viele Reisen an die entlegensten Punkte der Welt man schon gemacht hat. Der Rudergänger gibt bereitwillig Auskunft auf alle unsere Fragen und wir tun brav so, als würden wir die Antworten alle verstehen. Aber im Grunde hat so eine Brücke nichts maritimes oder romantisches wie vielleicht ein großes Steuerrad (und sei es nur als Backup) mehr, der Flößer sitzt vor seinen Monitoren und schaut dem Autopiloten bei der Arbeit zu. Freilich hat er noch genug zu tun, hier in der Gegend sind allerhand Schiffe unterwegs, und es gilt natürlich einer Kollision aus dem Weg zu gehen. Interessant ist es natürlich trotzdem und alle Tage bekommt man so etwas nicht zu sehen. Also, Daumen hoch für Hapag Lloyd.

Nach so viel geistiger Anstrengung - ihr ahnt es schon - steht eine ordentliche Stärkung auf dem Programm, also ab zum Mittagessen. Da gibt es schon wieder den Daumen hoch, das Essen ist durch die Bank echt richtig gut. Vor allem kommen immer wieder Sachen auf die Back, die man so nie kombinieren würde: Gnocchi mit karamellisierten Birnen, Gorgonzola-Soße und Wallnüsse geschwenkt in Salbeibutter. Ein Fest!

Nunmehr ermattet durch die anstrengende Nahrungsaufnahme ist es an der Zeit, ein kleines Mittagsschläfchen auf Deck 9 ganz vorn in Angriff zu nehmen. Aber schon nach einer Stunde ist es mit der Ruhe vorbei, die Fittness-Verantwortliche hat zum Walking auf Deck 9 geladen und der Einladung sind doch einige Leute gefolgt. Nun muss man wissen, dass auf dem kleinen Kahn die Runde nur 135 m lang ist (auf der MeinSchiff 6 sind es etwa 500 m) und entsprechend kurz sind die Intervalle, in denen die Karavane an uns Faultieren vorüber trabt. Außerdem zieht es wie bei der Friedensfahrt das Feld kontinuierlich auseinander, wir wissen allerdings nicht, ob es unterwegs irgendwo eine Bergwertung gibt. Auf jeden Fall lassen wir uns von diesen Unruhestiftern kein schlechtes Gewissen machen, wir müssen alle Kräfte auf die Verdauung bündeln!

Am Nachmittag besuchen wir noch zwei Vorträge, in denen unsere Destinations und die Ausflüge dort vorgestellt werden. Und so bekommen wir auch heraus, dass wir in Edinburgh mit dem Bus X55 individuell in die Stadt kommen, denn wir werden morgen etwa 40 km entfernt in Rosyth festmachen.

Nachdem wir uns noch ein wenig die Füße auf Deck 8 vertreten haben, lädt 18.30 Uhr der Kapitän zur Vorstellung seiner Crew ein. Die präsentiert er uns bei einem Gläschen Champagner, es ist seit Februar 2020 die erste Veranstaltung dieser Art wieder mit allen Gästen und seit einigen Tagen ist es nun auch nicht mehr Pflicht für die Gäste, eine Maske zu tragen. Entsprechend ist es tatsächlich ein wenig emotional. Interessante Randnotitz: das Verhältnis Crew zu Gästen ist fast exakt eins zu eins.

Direkt im Anschluss gehen wir stracks ins Lido zum Abendessen. Dadurch, dass es leicht zu regnen begonnen hat, wurde der Kapitäns-Empfang vom Pooldeck ins Hanse Atrium verlagert, was die ganze Sache etwas verzögerte. Demzufolge stehen im Lido die Köche etwas verdattert hinter ihren Grills und wundern sich, dass keiner zum Essen kommt. Wir sind fast die ersten und die Köche freuen sich, dass sie dankbare Abnehmer ihrer Arbeit finden. Auch ist es heute im Lido ungewöhnlich leer, was uns in die Karten spielt, wir haben das Buffett und die Köche fast für uns allein. Einer von ihnen ist aus Leipzig, er fragt, ob ich zum Schweinerücken einen Rösti haben will. Da wir uns bereits phonetisch über unsere Herkunft ausgetauscht haben, verbessert er sich sofort und fragt, ob ich einen „Gardoffelbuffer“ haben will. Ich verneine, ich möchte keinen „Klitscher“, schlage aber vor, das Wort „Klitscher“ an die Tafel zu schreiben und die Reaktionen der Gäste zu beobachten. Der Koch zerschießt sich schier vor lachen. Und so haben wir alle unseren Spaß, auch unser Tischkellner ist völlig aus dem Häuschen, dass wir ihm unsere benutzten Teller selbst an seine Station bringen, das kommt wohl auch nicht so häufig vor.

Mit feist gespannten Ranzen schleppen wir uns in die Observation Lounge, wo wir den Tag bei dem einen oder andern Getränk ausklingen lassen. Zwei Tische weiter sitzt der Runzlige, der mir heute früh schon mal ein Ohr abgekaut hat (er ist sich sicher, dass ich von der Presse bin wegen meiner großen Kamera), dieses Mal hat er - Gott sei es gedankt - ein anderes Opfer. Er ist ledig, nach eigenem Bekennen Egoist, hat keine Kinder, keine Familie und offenbar hat er zu Hause keine Senke für seinen überbordenen Gesprächsbedarf. Und so drängt er jedem ungefragt seine hier und da krude Sicht der Dinge auf, ohne aber am Standpunk seines Gegenübers Interesse zu zeigen. Ich verschließe mich hier an Bord bestimmt nicht von vornherein einem netten Gespräch, aber das ist echt lästig. Besonders blöd wird es, wenn er die Kellnerin in der Lounge von der Arbeit abhält und mehr als 10 Minuten zutextet, sich dabei aber alle 30 Sekunden dafür entschuldigt, um dann unvermindert weiter zu quasseln und an anderen Tischen stehen die Gäste knapp vor der völligen Dehydrierung. Hoffentlich werden wir nicht auch mal so...

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Die Hatschis (Dienstag, 24 Mai 2022 10:08)

    Euer Bericht hört sich ja mächtig nach Verwöhnprogramm an. Das macht ihr richtig, geniest die Zeit und haltet uns weiterhin schön auf dem Laufenden. Danke Olaf

  • #2

    Die Hatschis (Dienstag, 24 Mai 2022 17:00)

    Und noch vielen herzlichen Dank für die Bilder im Kopf. Ich sage nur Bademantel

  • #3

    Ute und Klaus (Dienstag, 24 Mai 2022 18:41)

    Hervorragender und spannender Lesestoff...leider gibt es keine Badematelbilder :-((( wir werden weiterhin euch an Bord und zu Land begleiten nur fehlen uns die passenden Getränke und die geschwenkten � also weiterhin gute Erholung, scharfe Bilder vom Kameramann und mega Spaß beim Zuschauen der Fitnessbesessen. Lieben Drücker über die Nordsee

  • #4

    AT&E (Dienstag, 24 Mai 2022 20:09)

    Mittendrin, statt nur dabei....
    Sehr schön. Hab zwar wieder eine Weile gebraucht um den täglichen Bestseller zu lesen, aber in Quarantäne durchaus eine willkommene Abwechslung.
    Lasst es euch gut gehen.