Heute Nacht frischt der Wind merklich auf und das manifestiert sich nun auch in etwas mehr bewegtem Wasser. Das Problem an der Ostsee ist, dass sie zum einen im Weltmaßstab gesehen ein sehr kleines Gewässer ist und vor allem, dass sie nicht sehr tief ist. Daher kann sich keine vernünftige Dünung aufbauen wie zum Beispiel in der Nordsee, sondern es sind so kleine giftige Wellen. Also schaukelt das Schiffchen nicht gemütlich auf und ab, sondern macht kurze Sprünge. Und wir bekommen demonstriert, was wir schon in der Schule gelernt haben: der Impuls läuft in fester Materie deutlich schneller, als in der Luft. Soll heißen, zuerst spürt man den Einschlag der Welle am Bug (wir schlafen ja praktisch genau über dem Bug), der sich in Windeseile in unserer Kabine entfaltet, erst kurz danach hört man durch die offene Balkontür, wie sich die Welle am Bug bricht. Sehr anschaulich. Aber das alles in einem wohltuenden Rahmen, der bei mir jedenfalls den Einschlafprozess deutlich beschleunigt.
Während wir friedlich schlummern und die dänische Insel Bornholm auf der nördlichen Seite passieren, strömen zur selben Zeit sozusagen ganz in der Nähe im Süden der Insel riesige Mengen Gas aus zwei Pipelines, die ein größenwahnsinniger Despot mal eben zerkloppt hat.
Heute lassen wir uns tatsächlich mit dem Wecker zurück ins Leben holen, damit wir nicht unseren Spa-Termin verpassen und schließlich muss vorher noch genügend Zeit für ein ausgiebiges Frühstück sein.
Im Spa genießen wir eine Thai-Massage, die wirklich sehr gut ist. Und dem jungen Mann, der sich mir widmet, gelingt es tatsächlich zu großen Teilen die Blockade in meiner Schulter zu lösen.
Derart entspannt geht Dorit direkt wieder in die Hängematte auf dem Balkon, ich streune ein wenig übers Schiff und genieße das schöne Wetter. Mittags füllen wir uns die Bäuche im Anckelmanns und wo der Ranzen schon mal voll ist, kann man ja auch ein kleines Nickerchen machen. Derweil fahren wir entlang der dänischen Küste, backbord gehen der Königsstuhl, Kap Arkona, Fischland Darß mit dem Leuchtturm Darßer Ort und schließlich Warnemünde mit dem Neptun als markante Landmarke durch. Bei dem schönen Wetter haben wir gute Sicht und man kann eigentlich alles mit bloßem Auge erkennen. Das Wetter ist wie gesagt sehr schön, und durch den Sonne-Wolken-Mix ändern sich die Lichtverhältnisse ständig. So etwas kann man in der Form nur auf dem Meer erleben und das ist schwer in Worte zu fassen.
Zur Kaffeezeit gönnen wir uns zur Abwechslung mal ein Eis und dann sind wir ganz vorn auf dem X-Sonnendeck, von da aus haben wir den besten Blick voraus, als wir in den Großen Belt einbiegen. Eine verhältnismäßige schmale Wasserstraße mit ziemlich viel Schiffsverkehr, ist dies doch der Zugang von der Ostsee über das Skagerrak zur Nordsee (genau genommen ist das Skagerrak ein Teil der Nordsee). Als es schon dämmert, erreichen wir die Storebæltsbroen, also die riesige Hängebrücke über den großen Belt. Erst wenn man mit so einem großen Schiff darunter hindurch fährt, erkennt man die gigantischen Ausmaße dieses Bauwerkes. Die Brücke verbindet die dänischen Inseln Fünen und Seeland und hat eine Hauptspannweite von 1624 Metern. Wir sind mehr als rechtzeitig vor der Passage vorn auf dem Deck und fast allein, lassen schon die Anfahrt auf dieses Bauwerk und so ganz nebenbei einen tollen Sonnenuntergang an backbord auf uns wirken, drei Minuten vor der Angst strömen plötzlich die Massen herzu und ich muss schnell meinen Platz zum Fotografieren verteidigen. Darunter sind auch meine zwei Lieblingspärchen, die immer kurz nach uns zum Frühstück eintrudeln und dabei in der an sich ruhigen Lounge in kolossaler Lautstärke ihrer prächtigen gute Laune ungezügelt freien Lauf lassen, wo ich immer so denke, wer um die Zeit schon so gute Laune hat, der kann auch mit dem Gesicht einen Locher fangen.
Jedenfalls holen alle was zum knipsen raus und der Sonnenuntergang wird angeblitzt, dass es nur so eine Art hat. Die Brücke wird aus einer Entfernung von zwei Seemeilen natürlich auch angeblitzt, nur wer hat, der kann. Kaum sind wir drunter durch, sind alle wieder weg, dabei hat die Perspektive jetzt auch ihren Reiz. Nun ja, man muss nicht alles verstehen und vielleicht bin ich auch nur alt.
Zu Abend sieht man uns im Gosch einreiten, jeder einen amtlichen Grillteller und die Welt ist in Ordnung. Auf dem Weg zurück in die TUI-Bar passieren wir ja automatisch das Buffett im Anckelmanns und da ist heute bayrischer Abend wegen dem Oktoberfest. Und tatsächlich gibt es Grünkohl. Obwohl an sich gut gesättigt, muss ich noch ein kleines Tellerchen probieren, und ich muss sagen, alle Achtung. Ein richtiger Grünkohl will gekonnt sein, und der hier gehört definitiv zu den besseren, die ich je hatte.
Nun brauchen wir aber noch was zum Verdauen. In der TUI-Bar finden wir nur einen Platz in der zweiten Reihe, aber unser Freund erspäht uns durch all das Gewusel hindurch und bringt uns nach kurzem Augenkontakt das Gewünschte. So stellt man sich das vor, so klingt ein schöner Tag auch sehr schön aus.
Später am Abend ist das warme Wasser alle. Na drücken wir mal die Daumen, dass die armen Asiaten das Problem bis morgen gefixed bekommen. In deren Haut möchte ich nicht stecken. Ist ja fast wie bei uns in der Firma, nur haben die hier im Prinzip ständig Frozen Zone (ist jetzt was für Insider).
Fun Fact: Vorgestern Abend steht der Schiffsdoc (ein pulverdampfergrauter Herr Mitte 60, dem Anschein nach kein Veganer) traurig und zugleich verstört vor dem Buffett und klagt, dass es kein Thüringer Mett mehr gibt. Ein köstlicher Anblick, obwohl ich den Mann sehr gut verstehen kann.
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Die Hatschis (Donnerstag, 29 September 2022)
Was für schöne Abendstimmung mit Brücke. Herrlich. Auch ein Seetag bietet interessanten Lesestoff. Ihr habt es euch mal so richtig gut gehen lassen und da der Appetit wieder da ist, schreitet auch die Rekonvaleszenz voran. Kommt gut an und gute Weiterfahrt in die Heimat
Die Hatschis (Donnerstag, 29 September 2022 16:08)
Wieder ein Danke für euren Bordbericht, sehr anschaulich. Tolle Fotoimpressionen stimmungsvoll eingefangen. Du hast wirklich recht, solche Sonnenuntergänge gibt es nur am Meer. Schön das es euch wieder besser geht, gute Heimreise.
Die Hatschis (Donnerstag, 29 September 2022 16:10)
Vielen Dank für eure Berichte, die wieder sehr informativ und toll bebildert waren. Wir freuen uns schon sehr auf die nächsten Schiffsrouten und eure Berichte.